Es war ein besonderer Abend. Am 17. Juli 2021 öffnete die evangelische Kirche in Wiehl ihre Türen für ein Musikkonzert. Besonders war dies, weil es nach dem Corona-Lockdown endlich wieder einen Live-Auftritt geben durfte. Es waren so viele Menschen gekommen, dass die Organisator:innen enge Corona-Hygieneregeln, Maske und Abstand vorgeben mussten.
Aber man war gut vorbereitet, hatte Masken dabei, die Stühle waren gekennzeichnet. Das Publikum, aber auch das Duo, der Pianist Aeham Ahmad und die Sängerin Nora Benamara, schienen es kaum abwarten zu können, endlich wieder ein Live-Konzert zu erleben.
Die abendlichen Kirchenglocken mussten noch abgewartet werden, dann füllte ein voller Applaus den Raum mit Leben und Erwartung.
Aeham Ahmad war für viele kein Unbekannter. Weltweit bekannt als „Pianist in den Trümmern“, der mitten im syrischen Bürgerkrieg die Menschen um sein Klavier versammelte und gegen den Hass, die Gewalt und den Hunger aufspielte, war Ahmad schon mehrfach in Wiehl aufgetreten, mal als Solist, ein anderes Mal mit einer Band. Diesmal kam er in Begleitung der Jazzsängerin Nora Benamara in die oberbergische Kleinstadt, um die Musik ihres ersten gemeinsamen Albums „Sununu“ zu präsentieren.
Der Kirchenflügel stand in einer Ecke, doch Aeham Ahmad nahm sich einen Stuhl, zog ein weißes E-Piano auf seinen Schoß und spielte auf mit einer Virtuosität und Leidenschaft, wie man sie in der Kölner Philharmonie nicht immer zu sehen bekommt.
Nora Benamara brachte mit ihrem Gesang mal zart, mal eindringlich Poesie auf die Bühne, zum Beispiel bei der Vertonung von „Wir haben ein Land aus Worten“ des palästinensischen Dichters Mahmoud Darwisch. Eindrucksvoll lieh sie der Musik ihre Stimme und brachte dabei die Bedeutung der Stücke dem Publikum nahe – mal in deutscher mal in englischer Sprache.
Auch ein Text des früheren Wiehlers Mitbürgers Mohammad Belal kam zur Aufführung. Im Lied „Jasmin / In Damaskus“ beschrieb Belal, wie sehr Damaskus sich durch den Terror des syrische Regimes verändert hat und Ahmad erzählte nach diesem Lied, dass sein Bruder, der Vater und Bruder von Mohammad Belal und der Fotograf Niraz Saieed, von dem das berühmte Foto von Aeham Ahmad im grünen T-Shirt stammt, vom Regime eingesperrt und umgebracht wurden.
Ahmad setzte immer wieder mit einem Solo ein – an dem E-Piano, das er geschickt auf seinen Knien hin und her bugsierte, flog er mit einer mühelosen Geschwindigkeit über die Klaviatur, spielte anspruchsvolle klassische Sequenzen, variierte verschiedene Musikstücke und Stile.
Schon bald fand Ahmad Mittel und Wege, die Besucher:innen zum Mitsingen zu verführen. Ob bei einem orientalischen Volkslied, bei Beethovens Ode an die Freude oder der deutsche Volksweise „Die Gedanken sind frei“ – die Ahmad mit kunstvoll arrangierten Klaviersoli umrahmte, die Kirche wurde erfüllt von Liedern, die den Frieden, die Freiheit und die Gemeinschaft hochhalten.
Mit humorvollen Einlagen, mit denen er sich immer wieder selbst auf die Schippe nahm, hatte er das Publikum schnell für sich eingenommen. Einmal musste er sich selbst stoppen: „Ich bin eigentlich Musiker, und kein Comedian!“ Bemerkenswert war auch, dass dies das erste Konzert überhaupt war, bei dem Aeham Ahmad fast alle Ansagen auf Deutsch machte.
Für mich lag ein Zauber auf diesem Auftritt, als würde sich ein Schleier lüften, eine Kette lösen, nach dem strengen Lockdown, aber vor allem angesichts des vielen Leids. In den Kriegen von Syrien, Afghanistan und anderswo. Aber auch ganz in der Nähe, wo der Starkregen erst vor wenigen Tagen über hundert Menschen ihre Familie und ihr Zuhause genommen hat. Das Duo widmete auch diesen Menschen ein Lied. Stärker konnte das Band zwischend den Menschen an diesem Abend nicht gespannt werden. Menschen, die zusammen lachen, weinen, musizieren und singen.
Das Publikum zollte dem Duo mit anhaltendem Applaus Respekt und bekam noch zwei Zugaben. Nein, es wundert mich nicht, dass ein Mensch wie Ahmad mit seiner Musik mitten im Bürgerkrieg eine solche Kraft entfalten konnte.
[Text: Nathalie Kirches]